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Richtlinien
für Glocken im kirchlichen Gebrauch

Vom 10. Januar 1995

(GVBl. S. 25)

Der Evangelische Oberkirchenrat erläßt aufgrund von § 127 Abs. 2 Nr. 10 der Grundordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. September 1990 (GVBl. S. 145), geändert durch kirchliches Gesetz vom 28. April 1994 (GVBl. S. 65), folgende Richtlinien:
Diese Richtlinien wenden sich an alle Ältestenkreise und Kirchengemeinderäte, um die Bedeutung und die Berechtigung kirchlichen Glockengeläutes zu verdeutlichen und um das Bewußtsein für »richtiges« Läuten zu wecken und zu erhalten. Sie sollen Anregungen, Hilfen und Regeln für Nutzung und das Geläute betreffende Entscheidungen geben.
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A. Allgemeines

Glocken »… sollen die Gemeinde zum Gottesdienst rufen, zum Gebet einladen und auf den Stationen des Lebens begleiten. Der Stundenschlag der Glocke soll daran erinnern, daß unsere Zeit in Gottes Händen steht.« (Agende für die Evang. Landeskirche in Baden 1987, Band 5, S. 198).
Die Glocke ist »auch heute noch zahllosen christlichen Menschen Anruf und Botschaft aus der Welt Gottes. Über alle Glockenpoesie und Glockenromantik hinaus vernimmt auch der Mensch unserer Zeit noch die Höhe und Tiefe, die sie zu verkünden hat. Auf der Grenze von Irdischen zum Überirdischen, im Dahinrinnen seines Lebenstages, erfährt er auch heute noch die Verkündigung der Hora, der Stunde, die ihn den wahren Rhythmus seines Lebens finden läßt, weil in ihr Anruf und zugleich Verheißung Gottes geschieht.« (Glocken in Geschichte und Gegenwart 1986, S. 27).
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B. Läuteordnung

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I. Hinweise aus Erfahrung und Recht

  1. Glocken bilden im Geläut ein Musikinstrument. Da auch eine Orgel etwa nicht ständig mit »vollem Werk« gespielt wird, soll Sinn und Zweck einer Läuteordnung sein, die im Geläute vorhandenen verschiedenen klanglichen Möglichkeiten zu nutzen; in ihr werden Anlässe, Dauer und die verschiedenen klanglichen Zusammenstellungen des Geläutes festgelegt. Die Gemeinde soll bereits am Klang der jeweiligen Glockenkombinationen Anlaß und Bedeutung des Läutens erkennen können.
  2. Je mehr Glocken vorhanden sind, um so variationsreicher kann die Läuteordnung gestaltet werden. Zahl und Größe der jeweils läutenden Glocken richten sich nach ihrer liturgischen und gottesdienstlichen Verwendung. Generell können folgende Festlegungen gelten:
    1. Beim Anläuten mehrerer Glocken wird mit der kleinsten Glocke begonnen, erst wenn diese voll ausschwingt, kommt die nächst größere hinzu. Das Ausläuten geschieht in der gleichen Reihenfolge, so daß die kleinste Glocke zuerst und die größte Glocke zuletzt verstummt.
    2. Das Einläuten am Vortag des Sonn- und Feiertages soll ab einer Geläutegröße von 4 Glocken nicht mit allen Glocken geschehen.
    3. Das Vorläuten mit einer Glocke ist im allgemeinen nur vor dem Hauptgottesdienst üblich und geht dem Vollgeläute im Abstand einer halben oder vollen Stunde voraus.
    4. Sonntage und Feiertage werden durch das Läuten von mehreren Glocken ausgezeichnet. Ausnahme: Am Karfreitag wird zu den Gottesdiensten entweder nicht (auch aus ökumenischer Rücksichtnahme) oder nur mit der größten Glocke geläutet.
    5. Bei großen Geläuten (ab etwa 5 Glocken) soll die größte Glocke nicht jeden Sonntag, sondern nur an Festtagen hinzutreten.
    6. Die Betglocke soll nicht mehr als 3 x täglich geläutet werden.
    7. Als Richtwerte für die Zeitdauer des Läutens gelten:
      5 – 7 Minuten für das Zusammenläuten vor Gottesdiensten und Kasualien,
      2 – 3 Minuten für das Gebetsläuten
      Zu häufiges und zu langes Läuten ermüdet viele Zuhörer, kann das Geläute abwerten.
    8. Einzelne Glocken bleiben besonderen Anlässen vorbehalten (Vaterunser, Taufe, Beerdigung). Glocken für diese Gelegenheiten nennt man Zeichen- oder auch Signierglocken.
  3. Als Möglichkeiten für die Zuordnung einzelner Glocken werden vorgeschlagen:
    Zweiergeläute
    Dreiergeläute
    Vierergeläute
    Fünfergeläute
    Taufglocke
    II
    III
    IV
    V
    Trauglocke
    II
    III
    III
    IV
    Sterbeglocke
    I
    II
    II
    III
    Betglocke
    I
    I
    II
    II
    Sonntagsglocke
    I
    I
    I
    I
  4. Das Orgel- und Glockenprüfungsamt kann die Gemeinde bei der musikalisch sinnvollen Zusammenstellung von Teilgeläuten beraten.
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II. Aufgaben für den Ältestenkreis/Kirchengemeinderat

  1. Beraten und beschließen – wenn nicht bereits vorhanden – einer Läuteordnung für ihre Gemeinde. Dabei sollten örtliche Traditionen und die Läuteordnung benachbarter Gemeinden berücksichtigt werden. Bei Bedarf arbeitet das Orgel- und Glockenprüfungsamt einen Vorschlag aus.
  2. Erklärung der Läuteordnung in einer Gemeindeversammlung und im Gemeindebrief. Die einzelnen Glocken mit ihren Inschriften und ihrer Beschaffungsgeschichte können dabei vorgestellt werden.
  3. Die für das Läuten verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in die Läuteordnung eingeführt.
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C. Läuten bei besonderen Anlässen

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I. Hinweise aus Erfahrung und Recht

  1. Bei der Glockenweihe werden durch eine ausdrückliche »Widmung« die Zwecke und die Bestimmungen für das Läuten der Kirchenglocken festgelegt. Durch diese Weihe bzw. Widmung der Glocken in einem gottesdienstlichen Akt soll eine mißbräuchliche Verwendung abgewehrt werden: Die Kirchenglocken haben die Aufgabe, die Gemeinde zum Gottesdienst und zum Gebet zu rufen (vgl. § 1 der Orgel- und GlockenVO vom 1. September 1992, GVBl. S. 161). Sie können bei besonderen örtlichen Traditionen die Gemeinde nach dem Gottesdienst auch in den Alltag entlassen. Da auch kirchenmusikalische Veranstaltungen Verkündigungscharakter haben, kann in diesen Fällen ein Vorgeläute erklingen, oder aber auch ein Nachgeläute einem entsprechenden Konzert besinnlichen Abschluß verleihen. Dem Neujahrsläuten kann durch eine entsprechende Widmung kirchlicher Auftrag zugewiesen werden.
  2. In manchen Gemeinden dienen die Kirchenglocken aufgrund des Herkommens oder ausdrücklicher Vereinbarung mit der politischen Gemeinde auch noch sonstigen öffentlichen Zwecken (Zeitläuten, Läuten bei der Bestattung u.ä.). Insbesondere waren Glocken häufig auch das Alarmsignal in besonderen Notfällen (Feuer- und Katastrophenalarm). Dabei ging es um Nächstenhilfe in einer Notlage zu einer Zeit, in der es noch kein Telefon und keine Sirenen gab. Sofern getroffene Vereinbarungen durch die inzwischen eingetretene Entwicklung überholt sind, muß mit dem Vereinbarungspartner eine entsprechende Revision angestrebt werden.
  3. Grundsätzlich gilt, daß das Geläute nur in Zusammenhang mit einer gottesdienstlichen Handlung erklingen soll und auch nur in diesen Fällen rechtlichen Schutz genießt.
  4. Um einen Mißbrauch des Geläutes wird es sich dann handeln, wenn kein erkennbarer Zusammenhang zwischen dem Läuten und dem Gottesdienst oder Gebet der Gemeinde besteht. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn das Läuten benutzt wird, um auf allgemeine kulturelle oder gesellschaftliche Veranstaltungen hinzuweisen oder wenn politische Proteste und Aktionen durch Glockengeläut der Öffentlichkeit bekanntgemacht werden sollen. Dabei besteht heute eine besondere Schwierigkeit darin, daß politische Predigt und gesellschaftspolitische Aktionen von manchen Gemeindegliedern als konkretes christliches Zeugnis qualifiziert werden. Ein damit verbundenes Läuten der Kirchenglocken wird als Hinweis auf christliches Bekennen für legitim angesehen.
  5. Gerade in dieser Situation ist umso größere Zurückhaltung im Blick auf die Verwendung von Kirchenglocken geboten: Glocken läuten für die ganze Gemeinde. Es darf nicht der Anschein erweckt werden, daß ein einzelner oder eine Gruppe ihre Meinung oder Position, gleichsam durch Glocken verstärkt, anderen, die anders denken, aufnötigen. Überzeugungen einzelner oder gemeindlicher Gruppen sollen, auch wenn sie im Glauben begründet und von Gewissensüberzeugung getragen werden, im sachlichen Dialog mit anderen eingebracht, aber nicht vorschnell »an die große Glocke gehängt werden«.
  6. Der unkritische Umgang mit Kirchenglocken in früheren Zeiten ist bekannt und wird heute auch allgemein verurteilt. Freilich werden die sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht von allen gleich gesehen. Die damals gemachten Fehler dürfen jedenfalls heute, wenn auch unter veränderten Umständen, nicht wiederholt werden.
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II. Aufgaben für den Ältestenkreis/Kirchengemeinderat

  1. Anlässe und Bräuche des ortsüblichen Läutens sind in der Läuteordnung festgelegt (vgl. B II/1).
  2. Der Ältestenkreis entscheidet gemäß § 22 der Grundordnung darüber, ob und wann die Glocken aus besonderem Anlaß (außerhalb der festgelegten Läuteordnung) geläutet werden.
  3. Neben dem Ältestenkreis kann nur der Evangelische Oberkirchenrat in besonderen Fällen und aus Anlässen gesamtkirchlicher Bedeutung Empfehlungen und Weisungen zum Läuten der Glocken herausgeben.
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D. Zeitläuten und Uhrschlag

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I. Hinweise aus Erfahrung und Recht

  1. Die Verwendung der Glocken als Zeitanzeiger (Uhrersatz) beim Zeitläuten oder beim Uhrschlag ist eher weltlicher und nicht kirchlicher Natur. In vielen Orten übernimmt daher die politische Gemeinde die Kosten für den Unterhalt der Uhr und des Schlagwerkes.
  2. Die vom Glockenschlagwerk und vom Geläute abgestrahlten Schallwellen unterliegen dem Bundesemissionsschutzgesetz. Wenn daher bestimmte Lautstärkewerte überschritten werden, muß im Streitfall die Lautstärke des Geläutes oder Uhrschlages reduziert werden; vor allem nachts kann auch eine Abschaltung des Schlagwerkes notwendig werden.
  3. Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen weltlichem (Zeit-)Läuten und kirchlichem (Gebets-)Läuten. Oftmals weiß selbst die Gemeinde nicht um diesen Unterschied. Eine bewußte Widmung des Läutens an bestimmten Tageszeiten (Morgen-, Mittag-, Abendgebet) kann Unsicherheiten in der Bewertung des Läutens vermeiden helfen. Die Dauer des Gebetsläutens sollte 2 – 3 Minuten nicht übersteigen.
  4. Den unterschiedlichen Gebetszeiten kann jeweils eine andere Glocke zugewiesen werden. Bei der Auswahl helfen die Wort- und Bildzier der Glocken. Eine gleichmäßige Verwendung der einzelnen Glocken hilft auch den Verschleiß der technischen Anlage gleichmäßig zu verteilen.
  5. Da immer mehr Menschen unterschiedliche Arbeits- und Lebensrhythmen haben, wird empfohlen, die Lautstärke des Uhrschlages zu dämpfen oder auch auf den Uhrschlag zwischen 22.00 und 6.00 Uhr und auf das Läuten zwischen 20.00 und 7.00 Uhr zu verzichten. Als frühester Zeitpunkt für das Gebetsläuten wird 7.00 Uhr empfohlen. An Sonn- und Feiertagen soll wegen des besonderen Ruhebedürfnisses der Bevölkerung mit dem Gebets- und Vorläuten erst später begonnen werden.
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II. Aufgaben für den Ältestenkreis/Kirchengemeinderat

  1. Beratung, ob reines Zeitläuten (ohne Gebetswidmung) noch zeitgemäß ist und ggfls. Reduzierung von Läutedauer und Läuteanlässen.
  2. Widmung und Uhrzeiten des Gebetsläutens sowie dessen Zuordnung zu einzelnen Glocken müssen in einem Beschluß festgehalten werden.
  3. Bei Anwohnerbeschwerden kann das Orgel- und Glockenprüfungsamt eine Schallpegelmessung durchführen und über Möglichkeiten der Reduzierung der Klangstärke informieren.
  4. Bei Bedarf Ansprache des Themas auf einer Gemeindeversammlung. Information über die Rechtslage.
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E. Geläutebeschaffung und -pflege

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I. Hinweise aus Erfahrung und Recht

  1. Bei allen Fragen zur Beschaffung, Ergänzung oder Reparatur eines Geläutes werden die Gemeinden vom Orgel- und Glockenprüfungsamt beraten. Bei statisch-konstruktiven Fragen wird das Kirchenbauamt hinzugezogen. Als Grundlage hierfür dient die Verordnung über das Orgel- und Glockenwesen in der Fassung vom 1. September 1992 (GVBl. S. 161).
  2. Die Beratung soll dabei helfen, technische und musikalische Grundregeln zu beachten, durch die ein besonderer Wert des Geläutes erst erreicht und erhalten werden kann.
  3. Die Sachverständigen des Amtes begutachten außerdem im Rahmen von Bezirksbereisungen die Geläute und geben Empfehlungen zur Geläutepflege ab.
  4. In vielen Gemeinden zeigt sich die Wertschätzung gegenüber dem Geläute auch darin, daß dieses gepflegt wird. Verschmutzte und gefährliche Aufstiege, Glockenstuben voller Taubenkot und verschlissene Glockenarmaturen beeinträchtigen die Zugänglichkeit oder stellen ein Sicherheitsrisiko dar.
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II. Aufgaben für den Ältestenkreis/Kirchengemeinderat

  1. Auswahl einer Person, die für die Aufsicht und Pflege des Geläutes und seines Umfeldes verantwortlich ist.
  2. Regelmäßige Kontrolle des Geläutes und einfache Reinigungs- und Wartungsarbeiten durch den oder die Beauftragte/n verlängert die Lebensdauer und verringert die Wartungskosten der Anlage.
  3. Abschluß eines Wartungsvertrages mit einer geeigneten Fachfirma. Bei sorgfältiger Kontrolle durch die Gemeinde (siehe 1. + 2.) kann das Besuchsintervall durch die Fachfirma vertraglich auf 2 oder mehr Jahre gestreckt werden.
  4. Bei Reparaturen am Geläute, die den üblichen Wartungsumfang überschreiten, ist vor Auftragsvergabe immer das Orgel- und Glockenprüfungsamt zu benachrichtigen.
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F. Inkrafttreten

Diese Richtlinien treten am 1. Januar 1995 in Kraft. Gleichzeitig treten die Bekanntmachung, das Läuten der Kirchenglocken betreffend, vom 25. März 1971 (GVBl. S. 128), die Richtlinien für das Läuten der Kirchenglocken bei besonderen Anlässen vom 28. Mai 1985 (GVBl. S. 93) sowie die Bekanntmachung, Empfehlungen des Amtes für Kirchenmusik für eine Läuteordnung für die Kirchen- und Pfarrgemeinden vom 17. Dezember 1985 (GVBl. 1986 S. 7) außer Kraft.