Rechtsstand: 01.01.2021

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Sechster Abschnitt. Die Ämter und Dienste der Kirche

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Erster Titel. Grundlagen

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Artikel 89

( 1 ) Die Aufgaben der Verkündigung, der Seelsorge und Unterweisung werden in einer Vielzahl von kirchlichen Ämtern und Diensten wahrgenommen. Sie entfalten sich im pfarramtlichen Dienst, im liturgisch-musikalischen, lehrend-erzieherischen, seelsorglichberatenden und diakonisch-sozialen Bereich.
( 2 ) Zur selbstständigen Wahrnehmung dieser Dienste und zu ihrer fachgerechten Erfüllung werden geeignete und durch Ausbildung und Fortbildung zugerüstete Personen im kirchlichen Dienst beschäftigt. Diese Dienste können auf Dauer oder auf Zeit übertragen und im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis, privatrechtlichen Arbeitsverhältnis oder im Ehrenamt ausgeübt werden.
( 3 ) Die besonderen Gaben und Kräfte Einzelner wirken in den verschiedenen Ämtern und Diensten der Kirche in partnerschaftlicher Zuordnung zusammen. Die in der Kirche Mitarbeitenden bilden eine Dienstgemeinschaft und sind in ihrer Ausübung an den Auftrag der Kirche gebunden. Sie tragen die Mitverantwortung dafür, dass er in den Gemeinden und in der Welt in rechter Weise erfüllt wird.
( 4 ) Durch die öffentliche Berufung bekräftigt die Kirche ihre Verantwortung für die auftragsgemäße Arbeit der zu besonderem Dienst Berufenen. Hierbei ist die gesamtkirchliche Bedeutung der Ordination zu beachten.
( 5 ) - aufgehoben -
( 6 ) Von Mitarbeitenden in der Kirche wird erwartet, dass sie sich in ihrer persönlichen Lebensführung nicht in Widerspruch setzen zu dem übernommenen Auftrag.
( 7 ) Kommen Mitarbeitenden in der Kirche Verstöße anderer gegen die Verpflichtungen aus Absatz 6 zur Kenntnis, so ist es ihre geschwisterliche Pflicht, diese mit den Betroffenen zunächst allein zu besprechen, bevor sie vorgesetzten Personen vorgetragen oder zum Gegenstand der Beratung in kirchenleitenden Organen gemacht werden.
( 8 ) Die in den Dienst der Leitung berufenen Kirchenglieder tragen besondere Verantwortung für die Einheit der Gemeinde und der Kirche in Lehre und Leben und fördern den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit der Kirchenglieder, der kirchlichen Einrichtungen und Dienste.
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Literatur
Anke, Hans Ulrich (2019): Diakonischer Republikanismus? Reflexive Loyalität? Atheistische Oberkirchenräte? Eine Kursbestimmung zu den Anforderungen an die berufliche Mitarbeit in der Kirche und Diakonie. ZevKR 64, S. 406 ff.
de Wall, Heinrich (2016): Pfarrer und Kirchenbeamte. In: Anke, Hans Ulrich / de Wall, Heinrich / Heinig, Michael (Hrsg.): HevKR. Tübingen, § 6.
Jacobs, Matthias (2018): Aktuelle Entwicklungen im deutschen und europäischen Antidiskriminierungsrecht. Recht der Arbeit, S. 263 ff.
Joussen, Jacob (2016): Das Arbeitsrecht in der Kirche. In: Anke, Hans Ulrich / de Wall, Heinrich / Heinig, Michael (Hrsg.): HevKR. Tübingen, § 7.
Joussen, Jacob (2020): Die Anwendung des staatlichen Arbeitsrechts auf Arbeitsverhältnisse zu Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, In: Pirson, Dietrich / Rüfner, Wolfgang / Germann, Michael / Muckel Stefan (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 3. grundlegend neubearbeitete Auflage. Berlin, § 57.
Munsonius, Hendrik (2020): Öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse zu Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften. In: Pirson, Dietrich / Rüfner, Wolfgang / Germann, Michael / Muckel Stefan (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 3. grundlegend neubearbeitete Auflage. Berlin, § 58.
Reichegger, Heidi (2005): Die Auswirkungen der Richtlinie 2000/78/EG auf das kirchliche Arbeitsrecht unter besonderer Berücksichtigung von Gemeinschaftsgrundrechten als Auslegungsmaxime (Schriften zum Staatskirchenrecht, Bd. 24). Frankfurt a.M.
Schilberg, Arno (2016): Das Ehrenamt in der evangelischen Kirche. In: Anke, Hans Ulrich / de Wall, Heinrich / Heinig, Michael (Hrsg.): HevKR. Tübingen, § 8.
Unruh, Peter (2019): Die Dekonstruktion des Religionsverfassungsrechts durch den EuGH im Kontext des kirchlichen Arbeitsrechts. ZevKR, S. 188 ff.
von Notz, Konstantin (2003): Lebensführungspflichten im evangelischen Kirchenrecht (Schriften zum Staatskirchenrecht, Bd. 10). Frankfurt a.M.
Wendt, Günther (1977): Neuere Entwicklungen in der evangelischen Kirchenverfassung. In: Evangelischer Oberkirchenrat (Hrsg.): Verkündigung im Gespräch mit der Gesellschaft. Festschrift für Wolfgang Heidland. Karlsruhe, S. 2 ff. (wieder abgedruckt in: Winter, Jörg [1994]: Kirchenrecht in geistlicher Verantwortung. Gesammelte Aufsätze von Oberkirchenrat i.R. Prof. Dr. Günther Wendt. Karlsruhe, S. 125 ff.).
Winter, Jörg (2001): Das Verhältnis von Staat und Kirche als Ausdruck der kulturellen Identität der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. In: Bohnert, J. u.a. (Hrsg.): Verfassung - Philosophie - Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 893 ff.
Winter, Jörg (2008): Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung mit kirchenrechtlichen Exkursen. 2. völlig neu bearbeitete Auflage. Köln.
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A. Systematik

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Artikel 89 beschreibt die Grundlagen, die für alle Ämter und Dienste der Kirche gleichermaßen gelten. Die einzelnen Formulierungen waren teilweise bereits in der früheren Grundordnung unter der Überschrift »Dienste in der Gemeinde«1# enthalten, sind aber 2007 an dieser Stelle zusammengefasst und neu geordnet worden. Der systematisch umgestellte Abschnitt befasst sich jetzt mit den »Ämtern und Diensten der Kirche« im Anschluss an die Regelungen über den Aufbau der Landeskirche. Das erscheint deshalb sinnvoll, weil es schon bisher nicht nur um die speziell auf die Gemeindeebene bezogenen Ämter und Dienste ging, sondern um alle Ämter und Dienste in der Kirche in ihren verschiedenen Ausprägungen.
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Im Anschluss an die allgemeinen Grundlagen werden die Dienste der Verkündigung im Einzelnen dargestellt. Dabei wird systematisch unterschieden zwischen den Diensten, die an die Ordination gebunden sind2#, den Diensten aufgrund einer Beauftragung3# und den weiteren Diensten der Verkündigung4#. Diese Dienste wiederum werden aufgefächert in die verschiedenen Berufsgruppen, die daran beteiligt sind.
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B. Vielzahl von Ämtern und Diensten

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I. Grundlagen

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Grundlage dafür ist die in Absatz 1 festgehaltene Generalaussage, dass die Aufgaben der Verkündigung, der Seelsorge und Unterweisung in einer Vielzahl von kirchlichen Ämtern und Diensten in selbstständiger Verantwortung wahrgenommen werden5#, also nicht an ein exklusives Amt gebunden sind. Sie entfalten sich daher nicht nur im pfarramtlichen Dienst, sondern auch im liturgisch-musikalischen, lehrend-erziehenden, seelsorgerlich-beratenden und diakonisch-sozialen Bereich. Dahinter steht die in Artikel 1 zum Ausdruck gebrachte theologische Überzeugung, dass jedes Glied der Kirche aufgrund der Taufe zu Zeugnis und Dienst in der Gemeinde und in der Welt bevollmächtigt und verpflichtet ist.
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Günther Wendt hat das wie folgt beschrieben:
»In den Erörterungen der Verfassungsreform sind theologische und kirchenrechtliche Bedenken gegen einen auch verfassungsrechtlich abgesicherten Vorrang des geistlichen Amtes auf Kosten voller Mitverantwortung der Gemeinde und stärkerer verfassungsrechtlicher Konsequenzen aus dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen eingeflossen. Ungeachtet des in allen Kirchenverfassungen ausgesprochenen Verkündigungsauftrags der Gemeinde in all ihren Gliedern wurde in älteren, vornehmlich lutherischen Kirchenverfassungen das geistliche Amt in der Fülle seiner Funktionen mehr oder weniger mit dem Pfarramt in der Ortsgemeinde und den episkopalen Leitungsämtern auf den Ebenen des Kirchenbezirks und der Landeskirche gleichgesetzt. In der Konsequenz dieses Amtsverständnisses liegt es, in den anderen Diensten nur einzelne aus dem Pfarramt aus Gründen der Arbeitsteilung herausgesetzte und prinzipiell in der Verantwortung des Pfarrers verbleibende Teilfunktionen des Pfarramts zu sehen. Die anderen Mitarbeiter in der Gemeinde fungieren in verfassungs- und dienstrechtlicher Unterordnung mehr oder weniger als ›Verrichtungsgehilfen‹ des Pfarrers. In der Ordnung der Gemeinde- und Kirchenleitung führt dieses Amtsverständnis und die ihm eigene Betonung des Gegenüber von geistlichem Amt und Gemeinde zu einer weitgehenden Konzentrierung geistlicher Leitung im Pfarramt und Bischofsamt und zur Beschränkung der presbyterialen und synodalen Leitungsorgane auf äußere Leitung und Verwaltung. (…) In der theologischen Reflexion der Verfassungsreform bemüht man sich demgegenüber für die Gemeinde- und Ämterordnung um eine neue Sicht des Miteinander von allgemeinem Priestertum und Predigtamt, um ein am Auftrag der Gemeinde und an der Vielfalt der zur Auferbauung der Gemeinde und zum Dienst am Nächsten verliehenen Gaben orientiertes funktionales Amtsverständnis.«6#
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II. Qualifikation

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Zur fachgerechten Wahrnehmung dieser Dienste sind allerdings nach Absatz 2 bestimmte Qualifikationen notwendig, die durch eine entsprechende Ausbildung und Fortbildung vermittelt werden, wenn sie zu einer Beschäftigung im kirchlichen Dienst führen sollen. Dabei stehen die verschiedenen Möglichkeiten zur Verfügung, angefangen von der vollzeitlichen beruflichen Tätigkeit im öffentlich-rechtlichen Dienst- oder privatrechtlichen Anstellungsverhältnis7# bis hin zu einer Mitarbeit auf ehrenamtlicher8# Basis. Die nähere Ausgestaltung dieser Dienste wird der einfachen kirchlichen Gesetzgebung überlassen.9#
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III. Dienstgemeinschaft

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Absatz 3 hält die Bindung aller kirchlichen Ämter und Dienste an die Erfüllung des kirchlichen Auftrags fest und betont ihre Pflicht zum Zusammenwirken in partnerschaftlicher Zuordnung. Dabei wird der Begriff der »Dienstgemeinschaft« eingeführt, dem im Zusammenhang mit der Gestaltung der arbeitsrechtlichen Verhältnisse in der Kirche eine wichtige Leitbildfunktion zukommt.10#
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IV. Öffentliche Berufung

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Absatz 4 entspricht dem früheren § 44 Abs. 6 GO, wobei das Wort »Gemeinde« durch das Wort »Kirche« ersetzt worden ist.11# Die öffentliche Berufung findet in der Regel in der Amtseinführung in einem öffentlichen Gottesdienst ihren sichtbaren Ausdruck. So werden z. B. die Diakoninnen und Diakone zu Beginn des Dienstes in einem Gottesdienst durch die Prälatin bzw. den Prälaten der jeweiligen Prälatur, in der der erste Einsatz erfolgt, gesegnet und gesendet.12# Die Verpflichtung auf die Beachtung der gesamtkirchlichen Bedeutung der Ordination wurde durch das kirchliche Gesetz zur Änderung der Grundordnung vom 20. April 2013 sachlich zutreffender nicht mehr Absatz 2, sondern Absatz 4 zugeordnet.
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V. Anstellungsvoraussetzungen

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Absatz 5 wurde durch das kirchliche Gesetz zur Änderung der Grundordnung sowie weiterer Vorschriften vom 21.Oktober 202013# aufgehoben. Darin war bisher geregelt, dass für eine Anstellung im kirchlichen Dienst die Mitgliedschaft in eine Gliedkirche der EKD Voraussetzung war. Die Landessynode konnte aber für bestimmte Dienste Ausnahmen zulassen. Diese waren bisher in der sog. »Rahmenordnung«14# geregelt. Danach waren Mitglieder von Kirchen, mit denen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft besteht, den Mitgliedern der Landeskirche gleichgestellt. Mitglieder anderer christlicher Kirchen konnten angestellt werden, wenn bei der Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben kirchliche Lehrunterschiede nicht wesentlich ins Gewicht fallen. Personen, die keiner christlichen Kirche angehören, dürfen nur angestellt werden, wenn sich ihr Dienst im Wesentlichen auf die Wahrnehmung von internen Aufgaben im Verwaltungs-, Wirtschafts- und Technischen Dienst beschränkt. Ausnahmen waren auch zulässig, wenn anders die Aufrechterhaltung des Dienstes nicht möglich wäre oder dies zur Durchführung besonderer kirchlicher Maßnahmen erforderlich ist. Keine Ausnahmen waren zulässig bei Diensten im Predigtamt und für Personen, die sich durch Austritt von der evangelischen Kirche abgewandt haben, sofern sie nicht Mitglied einer anderen christlichen Kirche geworden sind. In Diensten, die der Erziehung von Kindern und Jugendlichen dienen, war die Anstellung von Angehörigen nicht christlicher Religionsgemeinschaften nur in pädagogisch begründeten besonderen Einzelfällen zulässig. Die Ausnahmen bedurften zum Teil der ausdrücklichen Genehmigung durch den Evangelischen Oberkirchenrat. Diese Bestimmungen sind in der Rahmenordnung gemäß Artikel 1 des Vorläufigen Gesetzes zur Änderung der Rahmenordnung vom 23. April 202015# mit Wirkung zum 1. Juli 2020 aufgehoben worden. Die Anforderungen an die Kirchenmitgliedschaft als Voraussetzung für eine Anstellung im kirchlichen Dienst werden künftig in einer Rechtsverordnung des Landeskirchenrates geregelt.
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Derartige Festlegungen über die Voraussetzungen für die Anstellung im kirchlichen Dienst waren zur Sicherung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV bisher verfassungsrechtlich gedeckt.16# Demgemäß sieht das staatliche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in seinem § 9 vor, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften nicht unter das allgemeine Diskriminierungsverbot fällt, »wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.« Im bisherigen Verständnis dieser Vorschrift war davon auszugehen, dass die Entscheidung darüber, welche Anforderungen an die Kirchenzugehörigkeit der in der Kirche Beschäftigten zu stellen sind, allein der jeweiligen Religionsgemeinschaft überlassen war.17# Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs18# zu der im Jahre 2000 ergangenen Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf19# und ihre Übernahme durch das Bundesarbeitsgericht20# haben aber zu einem Paradigmenwechsel im kirchlichen Arbeitsrecht geführt mit möglicher Weise weiterreichen Folgen für das deutsche Religionsverfassungsrecht im Ganzen.21#
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Nach dieser Rechtsprechung ist § 9 AGG unter europarechtlichen Gesichtspunkten so auszulegen, dass in kirchlichen Arbeitsverhältnis eine bestimmte Religionszugehörigkeit nur gefordert werden darf, wenn »die Religion nach Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Religionsgemeinschaft darstellt.«22# Diese Voraussetzungen werden vom Europäischen Gerichtshof als objektive Maßstäbe verstanden, die der Kontrolle der staatlichen Gerichte unterliegen. Die bisher in Deutschland durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit der Religionsgemeinschaften selbst darüber entscheiden zu können, welche Anforderungen die bei ihnen Beschäftigten erfüllen müssen, um an der Erfüllung des Auftrages der Kirche in dieser Welt mitzuwirken, wird damit europarechtlich negiert.
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Auf dieser Grundlage hat das BAG einer konfessionslosen Bewerberin im Streit um eine Referentenstelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. im Urteil vom 25. Oktober 2018 eine Entschädigung aufgrund unzulässiger Diskriminierung wegen der Religion zugesprochen. Gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts läuft eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Vom Ausgang dieses Verfahrens wird abhängen, ob und in wie weit die im Grundgesetz verankerte Autonomie der Religionsgemeinschaften in ihren eigenen Angelegenheiten gegenüber einer Überformung durch das europäische Recht Bestand haben kann.23# Unabhängig davon sind sowohl auf der Ebene der EKD24# als auch in der Landeskirche bereits Maßnahmen eingeleitet worden, mit dem Ziel, die kirchlichen Reglungen über die Anstellungsvoraussetzungen und die Anforderungen an die Loyalität der Mitarbeitenden im Lichte der neueren Rechtsprechung der staatlichen Gerichte zu überprüfen und soweit notwendig anzupassen.25# Die Streichung von Abs. 5 und der Bestimmungen in der Rahmenordnung gehört dazu.
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VI. Lebensführungspflichten

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Absatz 6 ist eine auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezogene, im Wortlaut veränderte Übernahme der Bestimmung des bisherigen § 46 Abs. 2 GO, der sich nur auf das Predigtamt bezog.26# Es handelt sich aber um eine Verpflichtung, die nicht nur für diesen Personenkreis gilt. Es gibt keine »Sonderethik« für ordinierte Amtsträger. Die an sie adressierten Erwartungen haben ihre Grundlage nach evangelischem Amtsverständnis nicht in einem besonderen »Amtsethos«, sondern sind Ausdruck des für alle Christen allgemeingültigen christlichen Gemeinschaftsethos. Sachbezogene Differenzierungen in den Anforderungen, je nach der Bedeutung der übernommenen Aufgabe und des Amtes, sind damit nicht ausgeschlossen. Dies wird durch die Bezugnahme auf den übernommenen Auftrag deutlich. Unterschiede bestehen auch in der Möglichkeit der Reaktion auf Verstöße gegen die Verpflichtung, je nachdem, in welchem dienst- oder arbeitsrechtlichen Verhältnis sich die Betroffenen befinden. Die Verpflichtung gilt im Übrigen auch für ehrenamtlich übernommene Ämter und Dienste. Bezugspunkt der Verpflichtung ist nicht eine besondere moralisch-ethische Untadeligkeit der jeweiligen Person, sondern der Schutz des kirchlichen Amtes oder Dienstes vor Beeinträchtigungen. Staatskirchenrechtlich ist anerkannt, dass die Kirche dafür geeignete Maßnahmen ergreifen darf.27#
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VII. Biblische Weisung

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Absatz 7 hat die biblische Weisung aus Matthäus 18, 15 ff. zur Grundlage, die lautet:
»Sündigt aber dein Bruder an dir, so gehe hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde. Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner.«
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In der Grundordnung war die genannte Verpflichtung schon bisher in § 20 Abs. 5 GO enthalten, dort aber nur bezogen auf die Mitglieder des Ältestenkreises in Bezug auf Beanstandungen in der Dienstführung der Pfarrerin bzw. des Pfarrers oder anderer hauptamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie ist jetzt als allgemeine Rechtsverpflichtung für alle kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernommen. Sie gilt auch für das Ehrenamt. In der Konsequenz bedeutet sie, dass die vorgesetzten Personen oder kirchenleitenden Organe Beschwerden nicht behandeln dürfen, solange der Versuch zur Klärung auf der persönlichen Ebene nicht stattgefunden hat.
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Durch den Rückbezug auf Absatz 6 besteht die rechtliche Verpflichtung allerdings nur für Vorgänge, die sich auf die persönliche Lebensführung von Mitarbeitenden in der Kirche beziehen. Nicht ausgeschlossen ist deshalb das Recht, sich mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde, die andere Fragen der Amtsführung betrifft, unmittelbar an die vorgesetzte Person oder das zuständige kirchenleitende Organ zu wenden. Auch in diesen Fällen bleibt die Regel aber als biblische Weisung bestehen, deren Bedeutung für die Ordnung der Kirche und das Kirchenrecht durch die Vorschrift exemplarisch unterstrichen wird.28#
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VIII. Verantwortung für die Einheit der Kirche

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Absatz 8 enthält noch einmal einen Hinweis auf die besondere Verantwortung der in Leitungsämter berufenen Kirchenglieder für die Einheit der Kirche. Er entspricht dem bisherigen § 45 GO.

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1 ↑ §§ 44 bis 67 GO.
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2 ↑ Artikel 90 bis 95 GO.
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3 ↑ Artikel 96 bis 99 GO.
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4 ↑ Artikel 100 GO.
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5 ↑ Siehe bisher: § 46 Abs. 3 GO.
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6 ↑ G. Wendt (1977): wieder abgedruckt in: J. Winter (1994): S. 130 f.
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7 ↑ zu den öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen vergl.: H. de Wall (2016); H. Munsonius (2020); zu den privatrechtlichen Anstellungsverhältnissen vergl. J. Joussen: HevKR § 7; Ders. (2020).
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8 ↑ Siehe dazu: A. Schilberg (2016).
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9 ↑ Siehe zum Beispiel: Kirchengesetz zur Regelung der Dienstverhältnisse der Pfarrerinnen und Pfarrer in der Evangelischen Kirche in Deutschland (Pfarrdienstgesetz der EKD – PfDG.EKD) vom 10. November 2010 (RS Baden Nr. 400.095); Kirchliches Gesetz über den Dienst der Diakoninnen und Diakone in der Evangelischen Landeskirche in Baden (Diakoninnen- und Diakonengesetz – GDG) vom 18. April 2008, GVBl. S. 118, zuletzt geändert am 21. Oktober 2020, GVBl. 2021, Teil I, S. 32 (RS Baden Nr. 470.100); Kirchliches Gesetz über die Dienste der Mitarbeiter in Gemeindediakonie, Jugendarbeit, Religionsunterricht und kirchlicher Sozialarbeit (Mitarbeiterdienstgesetz) vom 30. April 1976 (GVBl. S. 65), zuletzt geändert am 20. April 2013, GVBl. S. 113, 118 (RS Baden Nr. 496.200); Kirchliches Gesetz über den kirchenmusikalischen Dienst in der Evangelischen Landeskirche in Baden (Kirchenmusikgesetz – KMusG) vom 24. Oktober 2012, GVBl. S. 226, geändert am 21. Oktober 2015, GVBl. S. 175 (RS Baden Nr. 460.100); Leit- und Richtlinien für ehrenamtliches Engagement in der Evangelischen Landeskirche in Baden in der Fassung vom 22. Februar 2000, GVBl. S. 57 (RS Baden Nr. 480.100).
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10 ↑ Siehe dazu oben: Art. 61 Rdnr. 2.; J. Winter (2008): S. 205 ff.; J. Joussen (2016): § 7 Rdnr. 5 ff.
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11 ↑ Siehe dazu oben: Art. 1 Rdnr. 5
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12 ↑ § 3 Abs. 1 GDG (RS Baden Nr. 470.100).
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13 ↑ GVBl. 2021, Teil I, S. 32.
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14 ↑ Kirchliches Gesetz über das Dienstverhältnis der kirchlichen Mitarbeiter im Bereich der Landeskirche und des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden (Rahmenordnung) vom 1. Mai 1984, GVBl. S. 91, zuletzt geändert am 23. April 2020, GVBl. S. 214 (RS Baden Nr. 110.300).
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15 ↑ GVBl. S. 214.
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16 ↑ Siehe dazu: J. Winter (2008): S. 198 ff.
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17 ↑ Zum Streit über eine enge oder weite Auslegung von § 9 AGG siehe J. Joussen (2020): Rdnr. 57 ff.
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18 ↑ EuGH, Große Kammer, Urteil vom 14.04.2018 (Egenberger / Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.), NJW 2018, S. 1869; EuGH Große Kammer, Urteil vom 11.09.2018, NJW 2018, S. 3086 ff.
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19 ↑ Vergl. dazu: H. Reichegger (2005); M. Jacobs (2018).
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20 ↑ BAG, Urteil vom 25.10.2018 (Egenberger), NZA 2018, S. 455 ff.; Urteil vom 20.02.2019 (Chefarzt), NZA 2019, S. 901 ff.
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21 ↑ Siehe dazu ausführlich: P. Unruh (2019); H. U. Anke (2019).
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22 ↑ So der Wortlaut der EU-Richtlinie 2000/78/EG.
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23 ↑ Die Europäische Union hat für das Religionsverfassungsrecht ihrer Mitgliedstaaten keine originäre Rechtsetzungskompetenz und außerdem in Art. 17 EUV versprochen, den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, zu achten und nicht zu beinträchtigen; vergl. dazu: J. Winter (2001).
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24 ↑ Siehe dazu: H. U. Anke (2019): S. 406 (422).
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25 ↑ Die EKD hat 2017 Richtlinien über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der EKD und ihrer Diakonie verabschiedet: Richtlinie des Rates über kirchliche Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie vom 09. Dezember 2016 (ABl. EKD 2017 S. 11). Auf römisch-katholischer Seite besteht seit 1993 die »Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse«, veröffentlicht als Broschüre in der Reihe »Die deutschen Bischöfe« Nr. 51.
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26 ↑ Zu den Lebensführungspflichten vergl.: K. von Notz (2003) und die Literaturangaben bei Artikel 90 sowie dort Rdnr. 19.
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27 ↑ Vergl. dazu vor allem die sog. »Bremer Pastorenentscheidung« des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 42: S. 312 ff.
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28 ↑ Zur Funktion der biblischen Weisungen siehe oben: Einführung Rdnr. 10 ff.