Rechtsstand: 01.01.2021

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II. Die Leitungsorgane der Landeskirche

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1. Die Landessynode

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Artikel 65

( 1 ) Die Landessynode ist die Versammlung von gewählten und berufenen Mitgliedern der Landeskirche, die aus ihren Erfahrungen im kirchlichen Leben und aus ihrer besonderen Sachkenntnis heraus beschließend und beratend im Dienste an der Kirchenleitung zusammenwirken.
( 2 ) Die Aufgaben der Landessynode sind insbesondere:
  1. im Zusammenwirken mit den übrigen Leitungsorganen darauf hinzuwirken, dass die Landeskirche in Lehre, Gottesdienst, Unterricht und in ihren Ordnungen ihrem Auftrag gerecht wird;
  2. die Gesetze der Landeskirche zu beschließen;
  3. die Landesbischöfin bzw. den Landesbischof sowie die synodalen Mitglieder des Landeskirchenrates und ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter zu wählen;
  4. Vorlagen des Landeskirchenrates und Berichte des Evangelischen Oberkirchenrates zu beraten und darüber zu beschließen;
  5. die Einführung des Katechismus, der Agenden, der Lebensordnungen sowie des Gesangbuches zu genehmigen. Frühzeitig im Prozess der Erarbeitung eines dieser Bücher legt der Landeskirchenrat fest, wie die Gemeinden und Kirchenbezirke an der Erarbeitung beteiligt werden. Der Landessynode ist vor Beschlussfassung über die Ergebnisse dieses Beteiligungsprozesses zu berichten;
  6. über die Entlassung aus dem Amt der Landessynode nach den gesetzlichen Bestimmungen zu entscheiden.
( 3 ) Die Landessynode kann alle Angelegenheiten der Landeskirche in den Kreis ihrer Beratungen ziehen. Sie hat das Recht, sich mit Wünschen und Anregungen an die übrigen landeskirchlichen Organe, an die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse, die Gemeinden und Kirchenbezirke der Landeskirche sowie die in der Kirche Mitarbeitenden zu wenden. Zu aktuellen Fragen des kirchlichen und öffentlichen Lebens kann sie Stellungnahmen beschließen und Erklärungen abgeben.
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Literatur
Zu Absatz 1:
de Wall, Heinrich (2017): Die Synoden. In: S. Muckel, Stefan / de Wall Heinrich, Kirchenrecht. 5. neu bearbeitete Aufl. München, § 38.
Grethlein, Gerhard / Böttcher, Hartmut / Hofmann, Werner / Hübner, Hans-Peter (1994): Evangelisches Kirchenrecht in Bayern. München.
Grundmann, Siegfried (1964/65): Verfassungsrecht in der Kirche des Evangeliums. ZevKR 11, S. 9 ff.
Heckel, Christian (2017): Die Verfassung der evangelischen Landeskirchen. In: Anke, Hans Ulrich / de Wall, Heinrich / Heinig, Michael (Hrsg.): Handbuch des evangelischen Kirchenrechts. Tübingen.
Heinemann, Gustav (1975): Synode und Parlament. Ansprache zum Gedenken an die Emder Generalsynode von 1571. In: Ders. (Hrsg.): Allen Bürgern verpflichtet. Reden und Schriften, Bd. 1. Frankfurt a. M., S. 132 ff.
Kinder, Ernst (1955): Die Synode als kirchenleitendes Organ. In: Hübner, Friedrich (Hrsg.): Schriften des Theologischen Konvents Augsburgischen Bekenntnisses, Heft 9. Berlin, S. 100 ff.
Link, Christoph (1995): Typen evangelischer Kirchenverfassungen. In: Boluminski, Andrea (Hrsg.): Kirche, Recht und Wissenschaft. Festschrift für Oberkirchenrat i.R. Prof. Dr. Dr. Albert Stein zum 70. Geburtstag. Neuwied, S. 87 ff.
Link, Christoph (2017): Kirchliche Rechtsgeschichte. 3. erweitere und ergänzte Auflage. München.
Maurer, Wilhelm (1955): Typen und Formen aus der Geschichte der Synode. In: Hübner, Friedrich (Hrsg.): Schriften des Theologischen Konvents Augsburgischen Bekenntnisses, Heft 9. Berlin, S. 78 ff.
Schilberg, Arno (2021): „Gemeinsame Wege“. Synoden in der evangelischen Kirche. ZevKR 66, S. 42 ff.
Wendt, Günther (1964/65): Kirchenleitung und Synode. ZevKR 11, S. 63 ff.
Wendt, Günther (1980): Was heißt Kirche leiten? Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden. Ordentliche Tagung vom April 1980, S. 11 ff.
Winter, Jörg (2001): Reformierte Spuren in den Kirchenverfassungen der Evangelischen Landeskirche in Baden. In: Verein für Kirchengeschichte in der Evangelischen Kirche in Baden (Hrsg.): Reformierte Spuren in Baden, Bd. 57. Karlsruhe, S. 118 ff.
Winter, Jörg (2004): Das »Zusammenwirken« als kirchenleitendes Prinzip in der Grundordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden. Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden. Ordentliche Tagung vom 17. bis 21. Oktober 2004, S. 28 ff.
Winter, Jörg (2011): Vor 150 Jahren: Kirchenverfassung von 1861. Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 5, S. 169 ff.
Zu Absatz 2 Nr. 5
Reingrabner, Gustav (2002): Das ius liturgicum und die Frage der Verbindlichkeit von Agenden. In: Neijenhuis, J. (Hrsg.): Evangelisches Gottesdienstbuch und Kirchenrecht, S. 93 ff.
Schulz, Frieder (1995): Die Verbindlichkeit liturgischer Ordnungen und der Wandel der Gottesdienstpraxis in der Gegenwart. KuR 930, S. 1 (= 4/1995 S. 43).
Stein, Albert (1981): Freiheit und Bindung im evangelischen Agendenrecht der »Gottesdienste neuer Gestalt«. ZevKR 26, S. 279 ff.
Stein, Albert (1992): Evangelisches Kirchenrecht. Ein Lernbuch. 3. Aufl. Neuwied.
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A. Die Synode als Leitungsorgan

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I. Die Synode als »Leitungsgemeinde«

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1
Artikel 65 entspricht in seinen wesentlichen Teilen dem früheren § 110 GO. Absatz 1 stimmt wörtlich mit der im Leitungsgesetz von 19531# festgelegten Fassung überein, die später in die Grundordnung von 19582# übernommen worden ist.
2
Mit dem Begriff der »Versammlung« in Absatz 1 »deutet die Grundordnung das Wesen der Synode als ›Leitungsgemeinde‹ an, die als Versammlung von Pfarrern und Ältesten zugleich Züge einer ›Ämtersynode‹ trägt und damit die persönliche, im Gewissen und Amt gebundene Verantwortung des einzelnen Synodalen, seine Unabhängigkeit von Weisungen und Aufträgen rechtstheologisch legitim zum Ausdruck bringt«3#. Sie wird damit verstanden als ein »Gemeindeorgan«, in dem die örtlichen Gemeinden repräsentiert sind, aus denen sich die Landeskirche von unten nach oben aufbaut4# (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GO). Als Gemeindesynode hat sie die Pflicht, sich stets am kirchlichen Leben in den Gemeinden zu orientieren. Im Sinne des allgemeinen Grundverständnisses über die Leitung der Landeskirche »als Dienst an der Kirche, ihren Gemeinden und ihren Gliedern«5# gehört es zu ihrem hervorgehobenen Wesenselement, ein »Dienst der Gemeinden aneinander«6# zu sein.
3
Die Synode ist nach diesem Verständnis aber nicht in einem vordergründigen Sinne die Vertreterversammlung für die Interessen der Gemeinden und Kirchenbezirke, von denen die Synodalen gewählt sind.7# Auch ihr Leitungsdienst gründet sich vielmehr »auf den Auftrag Jesu Christi und geschieht in dem Glauben, der sich gehorsam unter Jesus Christus stellt, dem alleinigen Herrn der Kirche«8#. Die Erfüllung dieses Dienstes ist die alleinige Quelle der Verbindlichkeit für kirchenleitendes Handeln. Auch die Synode ist eingebunden in den Legitimationszusammenhang, der der Kirche durch ihren Auftrag für sie selbst unverfügbar vorgegeben ist.
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II. Kein Kirchenparlament

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4
Zu vermeiden ist deshalb das Missverständnis, die Ausübung synodaler Funktionen sei – nach dem Muster der repräsentativen parlamentarischen Demokratie – Ausdruck einer durch die Synode repräsentierten Souveränität des Kirchenvolkes, so wie die Staatsgewalt auf der Volkssouveränität beruht. Die Kirche ist ihrem Wesen nach Christusherrschaft.9# Deshalb besitzt das Kirchenvolk nicht so, wie das Staatsvolk die Staatsgewalt innehat, eine Kirchengewalt. Die Mitglieder der Landessynode sind infolgedessen auch nicht »Vertreter« des Kirchenvolkes nach dem Vorbild des parlamentarischen Konstitutionalismus.10# Trotz mancher Parallelen in der Aufgabenstellung11# ist es deshalb sachlich verfehlt, die Synode als »Kirchenparlament« zu bezeichnen12#, weil das falsche Assoziationen hervorruft.
5
Der Unterschied der Synode zu einem staatlichen Parlament13# wird nicht nur darin deutlich, dass sie außer den gewählten auch berufene Mitglieder kennt, sondern vor allem auch in ihrer Arbeitsweise, die der frühere Bundespräsident und Synodale der Evangelischen Kirche im Rheinland, Gustav Heinemann wie folgt beschrieben hat:
»Nicht der Kampf um Überwältigung des einen Teils durch den anderen darf in ihr stattfinden, nicht um Macht der einen über die anderen darf es in ihr gehen, vielmehr sollen ihre Mitglieder sich in brüderlicher Beratung um Einmütigkeit der Entscheidung bemühen. Jedes ihrer Mitglieder ist ja eben nicht dazu berufen, um jeden Preis seine besonderen Ansichten durchzusetzen, sondern entsprechend ihrem Gelübde stehen sie alle im Dienst ihres einen Herrn. Jedes von ihnen hat den Auftrag, die Einmütigkeit im Geiste zu suchen, und hat dazu Anteil an der Verheißung des Geistes. Darum hat jeder den anderen nicht zu belehren, sondern auf den anderen zu hören.«14#
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III. Anteil an der geistlichen Leitung der Kirche

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6
Mit dem oben beschriebenen rechtstheologischen Verständnis der Synode als einer »Leitungsgemeinde« ist nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur der falschen Parallele zum staatlichen Verfassungsaufbau der Abschied gegeben worden, sondern auch eine vor allem in der lutherischen Amtstheorie wurzelnde Ansicht überwunden, die lediglich bereit war, die Bedeutung der Synode in der Wahrnehmung des »Jus circa sacra« im Sinne der Regelung der äußeren kirchlichen Ordnung zu sehen. In der lutherischen Theologie des 19. Jahrhunderts galt sie noch »als Fremdkörper und notwendiges Übel« und war »das wohl umstrittenste Stück des kirchlichen Verfassungsaufbaues«15#. Darin kamen grundsätzliche Vorbehalte gegenüber einer im Calvinismus entstandenen Institution und die Befürchtung zum Ausdruck, der Parlamentarismus könnte in die Kirche eindringen.16# Heute ist unbestritten, dass auch die Synoden an der geistlichen Leitung der Kirche Anteil haben.17#
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B. Die Aufgaben der Landessynode

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I. Gesetzgebung und Personalentscheidungen

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7
In Absatz 2 werden die Aufgaben der Landessynode genauer beschrieben. Sie waren in der Sache bereits im früheren § 110 Abs. 2 GO enthalten. Dabei ist zu beachten, dass dieser Aufzählung das Wort »insbesondere« vorangestellt ist, sodass sie keinen abschließenden Katalog darstellt. Absatz 2 Nr. 1 enthält zunächst eine Art Generalklausel, die in den folgenden Nummern konkretisiert wird. An der Spitze steht dabei in Absatz 2 Nr. 2 die wichtigste synodale Funktion, nämlich die der landeskirchlichen Gesetzgebung.18# Das Recht der „Mitwirkung bei der Gesetzgebung im ganzen Gebiet des Kirchenwesens auf Grund der Vorschläge des Kirchenregiments oder einzelner Mitglieder der Synode“19# sowie das Recht zur „Bewilligung der allgemeinen Ausgaben und der Deckungsmittel derselben, nach den Vorlagen des Oberkirchenraths“20# wurde der Synode erstmalig durch die Kirchenverfassung vom 05. September 1861 eingeräumt.21#
8
Die Synode ist außerdem nach Nr. 3 der Wahlkörper für das Amt der Landesbischöfin bzw. Landesbischofs22# und für die Bestimmung der synodalen Besetzung des Landeskirchenrates, der wiederum über die Besetzung des Evangelischen Oberkirchenrates befindet.23# Die Synode hat damit maßgeblichen Einfluss in personalpolitischer Hinsicht.
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II. Vorlagen und Berichte

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9
In Absatz 2 Nr. 4 werden die Beratungs- und Beschlusskompetenzen der Synode im Blick auf Vorlagen des Landeskirchenrates und Berichte des Evangelischen Oberkirchenrates thematisiert. Wichtig ist dabei, dass der Evangelische Oberkirchenrat gegenüber der Landessynode nur das Recht bzw. die Pflicht zur Erstattung von Berichten hat, während Vorlagen dem Landeskirchenrat vorbehalten sind.24# Der Unterschied besteht darin, dass die Vorlagen des Landeskirchenrates unmittelbare Beschlussvorschläge enthalten und nach der Geschäftsordnung der Landessynode als förmliche Eingänge25# zu behandeln sind, was bei den Berichten des Evangelischen Oberkirchenrates nicht der Fall ist. Sofern Berichte des Evangelischen Oberkirchenrates zu Beschlüssen der Synode führen sollen, müssen diese Vorschläge entweder den »Filter« des Landeskirchenrates durchlaufen oder aus der Mitte der Synode zum Gesetzesvorschlag oder zum Beschlussantrag erhoben werden.26#
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III. Jus Liturgicum

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10
In Absatz 2 Nr. 5 wird der Landessynode eine wichtige Funktion bei der Gestaltung des sog. »Jus Liturgicums«27# zugewiesen, in dem sie die Einführung der Agende und des Gesangbuchs genehmigen muss.28# Der in der Grundstruktur gleichbleibende Verlauf des Gottesdienstes soll dazu dienen, dass sich die Gemeindeglieder in der vertrauten Liturgie zu Hause fühlen und Besuchern aus anderen Gemeinden die aktive Teilnahme problemlos ermöglicht wird.29# Die von der Landessynode eingeführten Gottesdienstordnungen sind deshalb für die Gemeinden grundsätzlich verbindlich.30# Allerdings würde es der Stellung der Gemeinden als dem unmittelbaren Ort der Verkündigung in Wort und Sakrament nicht entsprechen, wenn sie keine Möglichkeit hätten, die gottesdienstlichen Liturgie auch nach ihren örtlichen Bedürfnissen zu gestalten. Anders als in der römisch-katholischen Kirche31# ist das Jus Liturgicum deshalb in der evangelischen Kirche nicht ausschließlich einem Organ als Entscheidungsträger zugewiesen.32# Auch das Recht der Landessynode, über die Einführung der Agende zu entscheiden, kann daher nicht den gesamten Bereich der Gottesdienstordnung erfassen. Die von der Synode beschlossenen gottesdienstlichen Ordnungen müssen vielmehr genügend Spielraum für die Gemeinden lassen, den Gottesdienst im Rahmen der allgemeinen Vorgaben durch die Agende nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Die Landessynode hat dazu im Zusammenhang mit der Einführung der revidierten Agende I im April 1995 »Leitlinien für die freiere Gestaltung von Gottesdiensten« beschlossen.33#
11
Bei Abweichungen von der verbindlichen agendarischen Ordnung sollten folgende Grundregeln beachtet werden:
  • die Gemeinde sollte nur abweichen, »wenn und soweit dieses nach der Überzeugung der Gemeinde in ihrer besonderen Situation geboten ist und ohne Anstoß bei ihren Gliedern und bei anderen Gemeinden geschehen kann.«34# Auch auf ökumenische Rücksichtnahme ist dabei zu achten, z.B. hinsichtlich des Wortlautes gemeinsamer Texte (Glaubensbekenntnis, »Vater unser«).
  • Änderungen im Ablauf des Gottesdienstes fallen nicht allein in die Zuständigkeit des verantwortlichen Liturgen oder der Liturginnen, die den Gottesdienst leiten. Sie müssen vielmehr unter Beteiligung von Gemeindegliedern vorbereitet werden. Vor allem bei grundsätzlichen oder auf Dauer angelegten Änderungen ist die Mitverantwortung des Ältestenkreises nach Art. 52 Abs. 3 Nr. 6 GO für die Vorbereitung, Gestaltung und Leitung des Gottesdienstes zu beachten.
  • Die Gemeinde darf von Änderungen der gewohnten Liturgie nicht überfallen werden, sondern muss in geeigneter Weise darauf vorbereitet werden. Dazu können zum Beispiel Hinweise vor Beginn des Gottesdienstes dienen.
12
Die Notwendigkeit der Beteiligung der Gemeinden und Bezirke nach Absatz 2 Nr. 5 hat den Sinn, in diesen Fragen Überraschungseffekte zu vermeiden, da hier aus den genannten Gründen auf die Befindlichkeit der Gemeinden Rücksicht genommen werden muss.35# Der Landessynode lag bereits 2007 die Anregung aus einem Kirchenbezirk vor, auf die Vorlage der Agenden an die Bezirkssynoden künftig zu verzichten, da diese zunehmend auf gesamtkirchlicher Ebene entwickelt werden und Veränderungswünsche der Bezirkssynoden kaum noch berücksichtigt werden könnten.36# Die Landessynode ist dieser Anregung damals nicht gefolgt. Durch das Gesetz zur Änderung der Grundordnung vom 24. Oktober 201837# ist aber die bisherige Verpflichtung, die in Absatz 2 Nr. 5 genannten Bücher vor einer Beschlussfassung der Landessynode den Bezirkssynoden zu einer Stellungnahme vorzulegen, zu Gunsten flexiblerer Beteiligungsformen gestrichen worden.38# Nach der Neufassung müssen die Gemeinden und Kirchenbezirke jetzt nach einem vom Landeskirchenrat im Einzelfall frühzeitig festgelegten Verfahren bereits an der Erarbeitung der Vorlagen beteiligt werden. Das Problem, dass den Gemeinden und Bezirkssynoden fertige Entwürfe, auf die sie kaum noch Einfluss nehmen können, zur Stellungnahme vorgelegt werden, ist damit beseitigt.
13
Die Einhaltung einer einheitlichen Liturgie war historisch gesehen vor allem ein Anliegen und ein Instrument zur Durchsetzung der badischen Union. In § 2 der Kirchenordnung als Beilage A zur Unionsurkunde von 1821 wird dazu sehr plastisch ausgeführt:
Die Kirchenordnung geht »von der Ueberzeugung aus, daß eine wohlbemessene, aeußere, die innere Freiheit des Geistes darum nicht befangende Uebereinstimmung in der Form des Unterrichts, der oeffentlichen Gottesverehrung, der Feier der heiligen Sakramente, und aller das Gemueth ansprechenden Religionshandlungen mit bestimmten Vorschriften und Formularen zu diesem Allen eben so nothwendig als ersprießlich ist, damit dadurch Aller an Geist sehr haeufig nicht kompetenten, und an Sinn nicht immer reinen Willkuehrlichkeit der Geistlichen hierin vorgebeugt, die unvermeidlich hieraus entstehende Verwirrung ganzer christlicher Gemeinden, oder einzelner Glieder derselben in ihren religioesen Ansichten mit allmaehlicher Abweichung und Entfernung darin von der Gesammtlandeskirche verhuetet, dagegen die Einigkeit im Geiste durch das Band des Friedens fleißig gehalten, auch dem schlichten frommen Gemuethe der Eindruck stiller andaechtiger Theilnahme an den, ihm durch langen Gebrauch vertraut und werth gewordene Formularen durch immer, oder haeufig andere, unbekannte, welchen es im voruebereilenden Laufe der Rede oder des Vortrags weniger nachdenken und nachempfinden kann, nicht verkuemmert werde.«39#
Mit der Einführung von Formularen zur Liturgie und der Agende wollte die Kirche damals »einen wichtigem Beduerfnisse ihrer Vereinigung zu einem Geist und Gemueth« entgegenkommen und erwarte deshalb auch »mit Zuversicht, von ihrer gesamten Geistlichkeit, daß sie die in § 2 entwickelten Gruende für durchgaengige Gleichfoermigkeit nicht aus den Augen lasse, und dem Hauptzweck einer solchen Landesliturgie entsprechend, sich dem ständigen Gebrauch derselben ueberhaupt, bei der Feier der heiligen Sakramente aber insonderheit, zur unverbruechlichen Pflicht machen werde.«40#
Allerdings galt auch schon damals: »So sehr sie übrigens dadurch eine heilsame Gleichfoermigkeit zu erstreben sucht, so soll damit doch den Geistlichen nicht die Freiheit benommen seyn, bei außerordentlichen Faellen, wo sie es für noethig achtet, andere, denselben mehr angemessene Anreden und Gebete zu gebrauchen, jedoch soll dieses nur als Ausnahme betrachtet werden, und jeder Geistliche, der sich dieselbe erlaubt, gehalten seyn, sich noethingenfalls deshalb zu rechtfertigen. In der naechsten Zeit, nach geschehener Vereinigung, ist es jedoch durchaus noethig, daß ein jeder Geistliche sich streng an die vorgeschriebene Ordnung halte, und namentlich von den vorgeschrieben Formularen bey der Feier der heiligen Abendmahls nicht abweiche.«41#
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IV. Gesangbuch

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14
Das Evangelische Gesangbuch der Evangelischen Landeskirche in Baden ist Grundlage der Liedauswahl für alle Gottesdienste.42# Die Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, die den Gottesdienst musikalisch begleiten, dürfen es nicht ablehnen, die darin enthaltenen Lieder zu begleiten. Das schließt die gottesdienstliche Verwendung neuerer Lieder nicht aus. Diese sollen nach den Richtlinien »verantwortlich eingeübt werden.«43#
15
Der für den gesamten Bereich der EKD gültige aktuelle Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs und der zugehörige regionale Anhang, der für die Evangelische Landeskirche in Baden, der Kirche Augsburgischer Konfession sowie der reformierten Kirche im Elsass und Lothringen gilt, wurde von der Landessynode 1994 genehmigt.44#
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V. Entlassung von Landessynodalen

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16
Die Regelung in Abs. 2 Nr. 6 wurde neu eingeführt durch das Kirchliche Gesetz zur Änderung der Grundordnung vom 24. Oktober 2018.45# Die gesetzlichen Bestimmungen über die Entlassung finden sich in den §§ 6a bis 6c LWG.
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VI. Allgemeines Beratungsrecht

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Absatz 3 enthält eine ausdrückliche Öffnungsklausel, nach der die Landessynode alle Angelegenheiten der Landeskirche in den Kreis ihrer Beratungen ziehen kann. In thematischer Hinsicht unterliegt die Landessynode also keinen Beschränkungen, sodass man insoweit von einer synodalen Allzuständigkeit sprechen kann.46# Die Formulierung macht aber zugleich auch deutlich, dass diese im Gegensatz zur Regelung in § 105 Abs. 1 der badischen Kirchenverfassung von 191947# nicht mehr mit einer umfassenden Beschlusskompetenz verbunden ist, sondern sich nur noch auf das unbeschränkte Recht zur Beratung bezieht. Das entspricht dem sog. »Trennungsprinzip«, wie es der badischen Grundordnung heute zugrunde liegt. Kein kirchenleitendes Organ kann deshalb in den Verantwortungsbereich eines anderen Organs eingreifen und dessen Aufgaben an sich ziehen. Im Zuständigkeitsbereich anderer landeskirchlicher Organe hat die Landessynode daher keine Möglichkeit, verbindliche Beschlüsse zu fassen. Auch ihr Recht zur Gesetzgebung kann sie nur ausüben, soweit die Gesetzgebungskompetenz bei der Landeskirche liegt, also nicht bei der EKD.
18
Gegenüber der früheren Fassung in § 110 Abs. 3 GO wurde in Absatz 3 klargestellt, dass sich die Landessynode mit Wünschen und Anregungen nicht nur an die anderen landeskirchlichen Leitungsorgane wenden kann, sondern auch an die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse48#, die Gemeinden und Kirchenbezirke der Landeskirche sowie die in der Kirche Mitarbeitenden. Das entspricht der schon bisher geübten Praxis.
19
Ergänzt wurde außerdem das Recht der Landessynode, zu aktuellen Fragen des kirchlichen und öffentlichen Lebens Stellungnahmen zu beschließen und Erklärungen abzugeben. Diese Klarstellung hat sich vor allem im Hinblick auf Art. 73 Abs. 2 Nr. 7 GO49# als notwendig erwiesen, nach der die Landesbischöfin bzw. der Landesbischof »die Landeskirche im kirchlichen und öffentlichen Leben vertritt«. Fraglich war bisher, ob dies im Sinne eines exklusiven Rechts der Landesbischöfin bzw. des Landesbischofs zu verstehen war, sich im Namen der Landeskirche öffentlich zu aktuellen Fragen des kirchlichen und öffentlichen Lebens zu äußern. Für die Landessynode ist jetzt klargestellt, dass auch sie dieses Recht hat. Für die übrigen landeskirchlichen Leitungsorgane ergibt sich diese Notwendigkeit aufgrund ihrer Aufgabenstellung weniger. Im Übrigen wäre es auch hier Sache der Landesbischöfin bzw. des Landesbischofs, derartige Beschlüsse des Evangelischen Oberkirchenrates und des Landeskirchenrates nach außen zu vertreten. Das ergibt sich natürlicherweise aus dem Vorsitz in diesen Organen.

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1 ↑ § 2 Abs. 1 Gesetz die Leitung der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens betreffend vom 29. April 1953, GVBl. S. 37.
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2 ↑ § 91 Abs. 1 GO i.d.F. vom 23. April 1958, GVBl. S. 17.
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3 ↑ G. Wendt (1964/65): S. 80.
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4 ↑ G. Wendt, ebd.; siehe dazu auch: Chr. Heckel (2016): Rdnr. 47 ff.
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5 ↑ Art. 64 Abs. 1 Satz 1 GO.
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6 ↑ G. Wendt, ebd., S. 81.
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7 ↑ Siehe dazu: J. Winter (2004): S. 33.
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8 ↑ Art. 64 Abs. 1 Satz 2 GO.
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9 ↑ Siehe dazu oben: Art. 64 Rdnr. 1.
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10 ↑ Siehe dazu oben: Art. 64 Rdnr. 2.
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11 ↑ Das betrifft vor allem die Gesetzgebung nach Abs. 2 Nr. 2.
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12 ↑ Vergl.: C. Link (2017): § 30 Rdnr. 10; H. de Wall (2017): Rdnr. 6.
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13 ↑ Siehe dazu: G. Grethlein u.a. (1994): S. 360.
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14 ↑ G. Heinemann(1975): S. 132 ff.
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15 ↑ S. Grundmann (1964/65): S. 9 (39); siehe dazu: C. Link (1995): S. 97 ff.; J. Winter (2004): S. 29; zur Stellung der Synode in den unterschiedlichen Verfassungstypen siehe auch: A. Schilberg (2021): S. 44 ff.
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16 ↑ Vergl.: G. Grethlein u.a. (1994): S. 349.
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17 ↑ Vergl.: J. Winter (2004): S. 29.
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18 ↑ Zu den Gesetzgebungsaufgaben und deren Gegenständen vergl.: Chr. Heckel (2016): Rdnr. 62 ff.
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19 ↑ § 79 Nr. 2 KV 1861.
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20 ↑ § 79 Nr. 6 KV 1861.
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21 ↑ Vergl. dazu: oben Einführung, Rdnr. 39 f.; J. Winter (2001): S. 118 ff.; Ders., (2011): S. 169 ff.
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22 ↑ Vergl. Art. 74 Abs. 1 GO.
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23 ↑ Vergl.: Art. 84 Abs. 2 Nr. 2 GO.
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24 ↑ Das gilt insbesondere für Gesetzesvorlagen; siehe dazu oben: Art. 59 Rdnr. 2.
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25 ↑ Siehe: § 17 Nr. 6 GeschOLS.
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26 ↑ Siehe: § 17 Nr. 5 und § 24 Abs. 1 GeschOLS.
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27 ↑ Vergl. dazu im Ganzen: A. Stein (1992): S. 37 ff.; H. de Wall (2017): § 32.
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28 ↑ Siehe dazu auch die Kommentierung zu Art. 60 Rdnr. 10.
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29 ↑ Vergl. dazu: H. de Wall, ebd., § 32 Rdnr. 3.
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30 ↑ Siehe dazu: F. Schulz (1995): S. 43 ff.
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31 ↑ Nach Can. 828 § 1 CIC steht die Regelung der heiligen Liturgie allein der kirchlichen Autorität zu: Sie liegt beim Apostolischen Stuhl und nach Maßgabe des Rechts beim Diözesanbischof.
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32 ↑ Nach Auffassung von Albert Stein (1992): S. 39, gebührt die Zuständigkeit für die Ordnung des Gottesdienstes grundsätzlich der Gemeinde, die dabei aber den Zusammenhang mit der Gesamtkirche und die besondere Verantwortlichkeit der Pfarrerin bzw. des Pfarrers zu achten hat. Das entspricht aber nicht der in den evangelischen Landeskirchen allgemein gültigen Rechtslage, vergl. H. de Wall (2017): § 32 Rdnr. 3.
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33 ↑ Agende I, S. 178 ff.
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34 ↑ So die Richtlinien der VELKD aus dem Jahre 1977.
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35 ↑ Vergl. dazu bereits die Bestimmung in § 6 der Unionsurkunde von 1821 über die Einführung des neuen Ritus beim Abendmahl, »wobei übrigens mit möglichster Schonung der Gewissen nach Maßgabe der Kirchenordnung zu verfahren ist«; siehe dazu auch die Ausführungen des Synodalen Rau im Zusammenhang mit dem Beschluss der Landessynode zur Zulassung von Kindern zum Abendmahl, Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 21. bis 25. Oktober 2001, S. 62.
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36 ↑ Vergl.: Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 25. bis 28. April 2007, S. 120.
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37 ↑ GVBl. 2019, S. 30.
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38 ↑ Zu den Überlegungen, die dazu geführt haben siehe ausführlich: Vorlage des Landeskirchenrates vom 21. Februar 2018: Änderungsanliegen für Grundordnung und Leitungs- und Wahlgesetz im Vorfeld der Kirchenwahlen 2019, Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Kirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 17. bis 21. April 2018, Anlage 1, S. 72.
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39 ↑ zitiert nach: Evangelische Kirchenvereinigung im Großherzogthum Baden nach ihren Haupturkunden und Dokumenten, Heidelberg 1821, S. 19.
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40 ↑ § 15 KirchO 1821, ebd. S. 37.
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41 ↑ Ebd.
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42 ↑ Siehe: III. 2 b Richtlinien für Kirchenmusik vom 22. Januar 2008, GVBl. S. 46, geändert am 18. Juni 2013, GVBl. S. 215 (RS Baden Nr. 460.130).
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43 ↑ Ebd.
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44 ↑ Vergl. die Vorlage der besonderen Ausschüsse »Gesangbuchkommission« und »Liturgische Kommission« der Landessynode vom 23.03.1994 zur Einführung des neuen Gesangbuchs, Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 24. bis 29. April 1994, Anlage 9.
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45 ↑ GVBl. 2019, S. 30.
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46 ↑ Siehe: G. Wendt (1964/1965): S. 73.
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47 ↑ Diese Bestimmung lautete: »Die Landessynode kann über alle Angelegenheiten der Landeskirche beraten und beschließen.«
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48 ↑ Gedacht ist hier vor allem an die Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (UEK), der die Landeskirche angehört.
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49 ↑ Siehe früher: § 121 GO.